Polizeistaat
Ein Auszug aus dem Unter die Haut Ausgabe #190
Polemik gegen Polizeistaat
Ursprünglich wollte ich eine Art Überblick geben, was in den letzten zehn bis zwölf Jahren so alles an autoritärem Mist beschlossen wurde, um schließlich auf die jüngsten Bausteine im „Projekt Polizeistaat“ zu kommen. Letztendlich habe ich die Idee dann aber so verworfen. Sehr theoretische Texte gibt es zu diesen Themen zuhauf und habe auch ich schon geschrieben. Die Auseinandersetzung mit Innen- und „Sicherheits“politik ist wichtig, weswegen ich euch ermutigen möchte, auf die Suche nach den im Folgenden angeschnittenen Themen zu gehen und euch genauer zu informieren. Denn auch das Fußballfansein ist politisch und die Politik nimmt Einfluss auf unseren Spieltag und auch wir können diese Politik beeinflussen. Dieser Text wird dagegen etwas persönlicher, Hater würden sagen unsachlicher.
„I can’t believe I still have to protest this shit“
In Vorbereitung auf diesen Text zum UdH-Revival habe ich mal tief in meinem Bücherregal gekramt und alte Hefte durchgeschaut. Ich wollte nachschauen, was ich schon so an Artikeln produziert habe. Am Ende stieß ich ganz unten tatsächlich noch auf einen Schülerzeitungsartikel mit dem Thema Überwachung durch den Staat aus dem Jahr 2008. Meine Gedanken schwankten zwischen „Ich kann nicht glauben, dass ich gegen diesen Mist immer noch protestieren muss“ und Fassungslosigkeit, wie Zustände, die schon in den 2000ern scheiße waren, immer mieser wurden. Ja klar verfolge ich diese Entwicklung kontinuierlich und eigentlich las ich nichts Neues, aber das alles so geballt zu lesen, hat mir nochmal bewusst gemacht, wie sehr sich die Lage stetig verschlimmert. Meine Laune sank bei der Lektüre stetig. Und mit Blick auf die aktuelleren Entwicklungen wurde sie nicht besser. Die Polizeiaufgabengesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, sind alle scheiße. Das kommende PAG in Bayern ist es ganz besonders. Gerade in Bayern hat die Polizei definitiv noch mehr Befugnisse gebraucht und dem so besonnen USK haben sicherlich noch Taser für seine Gewaltausbrüche gefehlt. Das neue Versammlungsgesetz in NRW schränkt die Demonstrationsfreiheit dermaßen ein, dass man es gar nicht glauben mag, was sich die Regierenden da trauen (und einer von denen will Kanzler werden…). Gegen dieses Gesetz formte sich ein breites Bündnis, an dem sich u.a. auch Fans und Ultras von Fortuna Düsseldorf und dem FC & BVB beteiligten und an großen Demonstrationen teilnahmen. Ich konnte mit einigen Teilnehmenden sprechen. Die Polizeiaufgebote auch bei kleinen Demos waren surreal. Eine Hundertschaft Cops sorgte für auch mal für Schikane bei einer 1-zu-1-Betreuung. Bei der Großdemonstration in Düsseldorf kam es dann zu massiver Polizeigewalt, über 100 Verletzten, rassistischen Beleidigungen und Einkesselung über viele Stunden bei 30 Grad. Hätten die Bullen in ihrem Rausch nicht auch Politikerinnen und Journalisten erwischt, würde sich die Politik in NRW mit diesem Skandal sicherlich weniger beschäftigen. Bei den Bildern der bunten Demonstration und den Demoblöcken der Fußballfans musste ich an die große Fandemo in Berlin 2010 denken. Damals demonstrierten 5000 Fans und Ultras aus dem ganzen Land und Gruppen von dutzenden Szenen von großen Bundesligisten, abgestürzten Vereinen und kleinen Clubs. Das Motto war „Zum Erhalt der Fankultur“ und was dafür so wichtig ist, zeigten zahlreiche Banner. Häufig drehten diese sich um Repressionen, Überwachung, 26 Polizeigewalt und Forderungen, wie die einer Kennzeichnungspflicht. Die Anliegen, die damals auf den Flyern und Bannern formuliert waren, reihen sich in die oben beschriebene Gefühlslage gut ein. Teilweise macht es fassungslos, dass Dinge, die eigentlich total selbstverständlich sein sollten, immer noch nicht Gesetz sind. Insbesondere die fehlende flächendeckende und konsequente Kennzeichnungspflicht für Cops ist für mich ein Aufreger Thema. Sogar der Europäische Gerichtshof und Amnesty International rügen die BRD diesbezüglich. Letztere haben wir vor rund zehn Jahren bei ihrer bundesweiten Kampagne „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ in unserem Fritz-Walter-Stadion unterstützt. Es gibt einfach kein sachliches Argument gegen eine Kennzeichnung im Einsatz! Bürger werden immer strenger im Namen der angeblichen Sicherheit überwacht, während die Cops sich gleichzeitig selbst jeglicher Kontrolle, die wichtig für einen Rechtsstaat ist, möglichst entziehen möchte. Auch in den folgenden Jahren wurde das Lautrer Mottobanner der Demo „Uneingeschränkte Bürgerrechte auch für Fußballfans!“ immer mal wieder hervorgeholt, um gegen Repressionen zu protestieren. Unfassbar, wie Fußballfans von Polizei und Staat in ihren Rechten fortwährend stark eingeschränkt werden.
Wut
Es ist beängstigend, dass die Befugnisse und Überwachungsmöglichkeiten derselben Polizei, die damals schon Fußballfans schikanierte, angriff und ihre Bürgerrechte systematisch verletzte, heute noch viel umfassender sind. Ja sogar ursprünglich illegale Praktiken der Datensammlung im Nachhinein legalisiert wurden. Dazu zählen z.B. ungerechtfertigte Bodycam- oder Übersichtsaufnahmen oder die Datei „Gewalttäter-Sport“. Verbotene Datenweitergabe und -abfrage ist sowieso Standard bei den Helene Fischer-Fans in Uniform. Nicht zu vergessen sind hierbei die neuen technischen Möglichkeiten der Polizei. Neben immer stärkerer und zunehmend unkontrollierter Onlineüberwachung sind auch Drohnen zu nennen. Sie ermöglichen nun eine Kameraüberwachung wirklich immer und überall. Nicht unvorstellbar, dass in zehn Jahren diese Drohnen auch mit Reizgas Waffen ausgestattet werden. Überhaupt ist nicht nur die Entwicklung zum heutigen Status Quo, sondern vor allem der Blick in die Zukunft besorgniserregend. Wer weiß, wie die Lage in zehn, zwanzig Jahren ist? Wer weiß, ob Gesetzesverschärfungen heute, den Weg für die autoritäre Herrschaft von morgen ebnen? Löse ich mich von dieser Fassungslosigkeit und Angst vor der Zukunft, bleibt vor allem Wut. Wut auf die Politikerinnen, die aus Geschichtsvergessenheit, Ahnungslosigkeit und Machtgier diese Politik vorantreiben. Wut auf so viele Bürger in diesem Land, die eben diese Politiker immer wieder wählen und jeden Dünnschiss
aus der Presse fressen. Wut auf große Teile der Presselandschaft, die vollkommen unkritisch die Polizeiberichte als absolute Wahrheit annehmen. Wut auf alle in Uniform, die diese Entwicklungen mittragen. Die schweigen, wenn ihre Kollegen dem kontrollierten Fan Widerstand anhängen wollen, wohlwissend, dass dieser nichts getan hat. Die wegsehen, wenn Unrecht und Gewalt geschehen und Menschen leiden. Die mitmachen, wenn sozialpädagogische Fanprojekte gestürmt werden. Niemand muss Bulle sein! Und Wut auf die ganzen Schweine, die sich für Götter halten und nichts lieber tun, als ihre Macht mit dem Knüppel gegen alle auszuüben, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen. Keinen Frieden mit euch! No justice, nopeace!
Widerstand
Der Text hat einige starke Wörter. Zum Beispiel Widerstand. Damit meine ich keine Gewalt (Grüße an die „SK“Bs), sondern die Dinge, die teilweise schon beschrieben wurden und ich nochmal erläutere. Nicht, dass es da Missverständnisse gibt und wir noch als kriminelle Vereinigung eingestuft werden, wie es einer Gruppe von Chemie Leipzig passiert ist – kein Witz, sollte nachlesen, wer sich damit noch nicht befasst hat. Theoretisch wäre es möglich, dass die Polizei schon beim Tippen dieser Zeilen mitliest. Aber sei‘s drum, immerhin tue ich nichts Illegales und wir leben ja in einem Rechtsstaat. Bürgerrechtsaktivisten bescheinigen Teilen dieses Rechtsstaats zwar eine „Polizei mit Machtbefugnissen, wie sie seit 1945 nicht mehr“ gab, „mit mehr Möglichkeiten“. Aber noch fühl ich mich bei solch einem rebellischem Akt sicher. Und ich will, dass das so bleibt! Ich will, dass ihr euch informiert. Dass ihr euch bildet und Banden bildet, und eure Eltern, Freundinnen und Kollegen bildet. Betreibt Aufklärung. Widersprecht den Stammtischparolen eures konservativen Onkels, wenn er Knast für ein bisschen Rauch oder flächendeckende Kameraüberwachung in der Stadt wegen etwas Farbe an Wänden fordert. Erklärt eurer Klassenkameradin, warum es nicht cool ist, zur Polizei zu gehen. Weißt eure Stadionkumpel darauf hin, dass es nicht geht, einfach jeden Insta-Account anzunehmen und Bilder aus der Kurve zu posten (Stichwort „Identifizierungspflicht in sozialen Netzwerken“ und Onlineüberwachung). Vertraut nicht blind dem lieben Motorradpolizist oder dem unscheinbar und neutral gekleidetem Kerl am Bierstand. Selbst für den Einsatz von Spitzeln braucht es teilweise nicht mal mehr richterliche Beschlüsse! Betrachtet politische Entwicklungen kritisch. Schaut euch an, was da eigentlich an Gesetzen beschlossen wird. Es geht uns was an und betrifft uns – auch als Fußballfans aka Staatsfeind Nummer 1 (vielleicht auch 2 oder 3, je nachdem, wen man fragt). Wir brauchen und wollen keinen Überwachungsstaat, in dem Polizisten freidrehen und Menschen ungestraft der Freiheit berauben, verletzen, misshandeln oder gar töten können. In dem Demonstrations-, Meinungs- und Reisefreiheit in großem Stil angegriffen werden. Ja das klingt zunächst sehr polemisch, aber all das passierte auch schon Fußballfans und darüber hinaus noch viel mehr Menschen in diesem Land! Und Widerstand heißt nicht nur, gegen weitere autoritäre Gesetze zu protestieren, sondern auch bereits genommene Rechte zurückzufordern, auch die Polizei zu kontrollieren und deren Repressionswerkzeuge abzuschaffen! Und last but not least: Kennt eure Rechte! Mischt euch bei Polizeieinsätzen ein, seid Zeugen, informiert euch, wie ihr wann handeln solltet. Organisiert euch in solidarischen Rechtshilfegemeinschaften und kämpft zusammen gegen Repressionen. Auch rechtliches Vorgehen kann zu Erfolgen führen, wie zum Beispiel das jüngste Urteil des Kölner Landgerichtes zeigt, welches anlassloses Filmen von Fanblöcken als unzulässig ansieht. Vor längerer Zeit gab es im UdH eine Rubrik mit dem passenden Namen „What to fight for“. Lasst uns weiter für unsere Ideale und Freiheit kämpfen! Ein Spieltag ohne sich wie ein Schwerverbrecher zu fühlen und so behandelt zu werden ist möglich. Seid aufmerksam und solidarisch und wehrt euch.
Stay rebel!